Neurofilament-Leichtketten (NfL) sind ein neuer Marker, der aus Serum gemessen wird und einen axonalen Schaden anzeigen kann. Der Testhersteller Siemens nennt im Verwendungszweck Therapiemonitoring von schubförmiger Multipler Sklerose. Ein Anstieg kann auch durch andere Erkrankungen ausgelöst werden. NfL stammen ausschließlich aus dem Zytoplasma von Neuronen und zeigen daher einen gewebespezifischen Schaden an. Sie lassen sich deshalb in Analogie als die „Troponine für die Axone“ bezeichnen. Dieser Marker eröffnet neue diagnostische Möglichkeiten aus Serum, die bisher eine aufwendigen Liquorpunktion erforderten.
Pathophysiologie
Neurofilamentproteine werden ausschließlich im Zytoplasma von Neuronen gebildet und spielen eine wichtige Rolle bei der Struktur des neuronalen Zytoskeletts. Die Untereinheiten der Neurofilamente unterscheiden sich durch ihre Molekülmasse: Es gibt leichte (NfL), mittlere (NfM) und schwere (NfH) Neurofilamente mit Molekülmassen von etwa 70, 150 und 200 kDa. Bei einer Schädigung von Axonen gelangt NfL zunächst in den Liquor und anschließend ins Blut. Obwohl die NfL-Konzentration im Blut niedriger ist als im Liquor, besteht eine gute Korrelation zwischen den beiden Kompartimenten.
Indikation und Beurteilung
Neurofilament-Leichtketten sind bei einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen erhöht. So haben Patienten mit Multipler Sklerose höhere NfL-Spiegel. Bei dieser Gruppe korreliert der NfL-Spiegel mit der Krankheitsaktivität und sowohl mit klinischen als auch mit radiologischen Veränderungen. Ein Therapieansprechen zeigt sich frühzeitig an sinkenden NfL Konzentrationen im Serum. Andere neurologische Erkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose, Apoplex, frontotemporale Demenz oder eine HIV Enzephalopathie zeichnen sich durch sehr hohe NfL Konzentrationen aus [1]. Alzheimer Demenz und Parkinson führen zu weniger ausgeprägten NfL Erhöhungen. Primär psychiatrische Erkrankungen zeigen niedrigere NfL Werte [2]. Daher liefert die NfL Höhe bei Symptomen wie Gedächtnisstörungen wichtige Hinweise zur Unterscheidung zwischen einer neurodegenerativen und einer psychiatrischen Ursache.
Nach einem Herzstillstand weisen höhere Serum NfL Spiegel auf gravierendere neuronale Folgen hin. Die Sensitivität von NfL ist dabei traditionellen Untersuchungsmethoden wie ECG oder CT und anderen Markern wie NSE oder S100 überlegen [3]. Bei Schädel-Hirn-Trauma, auch im Rahmen von Sportarten wie Fußball, Hockey oder Boxen, steigen NfL an. Auch hier scheint die Höhe des Anstiegs mit dem Schweregrad des Traumas und der Prognose zu korrelieren [4-5].
Eine Reihe von chronischen Erkrankungen wie HIV [6], Diabetes Mellitus, insbesondere mit Polyneuropathie [7], Hypertonie und andere kardiovaskuläre Risikofaktoren sind mit leicht erhöhten NfL Spiegeln assoziiert. Auch ohne definierte Erkrankung steigt mit dem Alter die NfL-Konzentration im Blut an. Vor allem ab 60 Jahren nimmt die Streubreite der Konzentration von Patient zu Patient zu. Bei eingeschränkter Nierenfunktion (v.a. unter einer GFR < 60) ist mit deutlich höheren Spiegeln zu rechnen. Schwangere weisen ebenfalls höhere Konzentrationen auf. Bei einem hohen Body-Mass-Index ist – wahrscheinlich wegen eines erhöhten Blutvolumens – mit geringeren NfL Leveln zu rechnen. Wegen dieser unterschiedlichen Einflussfaktoren ist eine Beurteilung im Verlauf aussagekräftiger als feste Grenzwerte.
Hohe NfL Konzentrationen zeigen sich vor allem in den ersten beiden Wochen nach dem auslösenden Ereignis, bleiben dann aber häufig über Monate erhöht. Eine genaue Halbwertszeit von NfL ist nicht bekannt [8].
Präanalytik
NfL kann aus Serum bestimmt werden. Es müssen keine besonderen Abnahmebedingungen beachtet werden. Nach der Zentrifugation ist NfL im Serum 7 Tage stabil.
Abrechnung
Die Bestimmung von NfL ist sowohl im kassen- als auch im privatärztlichen Bereich erstattungsfähig.
EBM Ziffer 32416: 24,90 €; GOÄ Ziffer 4069 1,15 Satz: 50,28 €;
Erkrankung | Ausmaß des Anstiegs | Interpretation von NfL |
Multiple Sklerose | + | Erhöht vor Symptombegin, steigt bei Schüben, sinkt bei effektiver Behandlung |
Apoplex | +++ | auch bei subklinischen Ereignissen erhöht, Höhe korreliert mit Outcome |
Amyotrophe Lateralsklerose | +++ | höher bei ALS als bei ALS Mimics |
HIV-Enzephalopathie | +++ | Stark erhöht bei HIV und anderen infektiologischen Enzephalopathien |
Frontotemporale Demenz (FTD) | ++ | bei FTD höher als bei primär psychiatrischen Syndromen; prognostischer Marker |
Alzheimer | + | Höhe assoziiert mit Ausmaß der Hirnrindenatrophie |
Parkinson | (+) | höher bei atypischem Parkinson |
Herzstillstand | +++ | assoziiert mit neurologischem Outcome |
Schädel-Hirn-Trauma, auch Sportverletzungen | +++ | assoziiert mit Ausmaß und Prognose der Schädigung |
Modifiziert nach [2], [8]
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